Botulismus im Broichbachtal 1992

 

Über 200 Wildenten sind im Herbst 1992 im Broichbachtal und bei Bettendorf dem Botulismus zum Opfer gefallen. Dieser Bakterien-Infektion  sind in geringerem Umfang auch Rallen, hier besonders Bläßrallen, erlegen. Ein Graureiher zeigte ebenfalls typische Botulismus-Symptome: Bein-, Flügel- und schließlich Halsmuskellähmung. Obwohl Menschen offensichtlich nur gegen das Botulinum-Gift des Typs C immun sind, ist Vorsicht im Umgang mit Botulismus-Opfern geboten! Für den Menschen gefährliche Clostridium-botulinum-Typen können in denselben Gebieten auftreten.

 

Wir bitten unsere Mitglieder, möglichst viele Bürger dahingehend aufzuklären, dass das Füttern von wildlebenden Wasservögeln unterbleiben sollte.

 

Die Massenansammlungen an Futterstellen erhöhen die Infektionsgefahr bei den Tieren ganz erheblich.


Hintergrundinformationen zum Botulismus

Archiv Naturschutz heute


 

Botulismus – tödliche Gefahr für


Wasservögel


von Uwe Westphal


Immer wieder kommt es zu verheerenden Massensterben unter wildlebenden Wat- und Wasservögeln. Die Todesursache heißt Botulismus - eine durch ein bakterielles Nervengift hervorgerufene Erkrankung, die fast stets zum Tode führt.

Allein 1973 fielen drei schweren Botulismusausbrüchen in Spanien (Coto Doñana), den Niederlanden (Ijsselmeer) und in Deutschland (Ismaninger Speichersee bei München) zusammen mehr als 100.000 Vögel zum Opfer. Die bisher schlimmste Epidemie in der Bundesrepublik vernichtete 1983 in der Wedeler Marsch bei Hamburg mindestens 40.000 Vögel. In den USA sind solche Massensterben bereits seit Anfang des Jahrhunderts bekannt. Doch nicht nur Vögel erkranken. Vielmehr können alle Arten von Wirbeltieren davon betroffen sein - vom Kleinfisch bis zum Großsäuger. Beim Menschen ist die Erkrankung auch als "Wurstvergiftung" bekannt. Vom lateinischen Wort botulus für Wurst leitet sich der Name Botulismus ab.

Botulismus tritt bei Wildvögeln weltweit mit Ausnahme der Antarktis auf. Verursacher des Botulismus ist das Bakterium Clostridium botulinum, das in Böden und Schlamm weltweit verbreitet ist. Es braucht zum Gedeihen relativ hohe Temperaturen, eine eiweißreiche Nährlösung sowie eine sauerstofffreie Umgebung. Ungünstige Umweltbedingungen überdauert Clostridium botulinum in Form von Sporen, die im Freiland mehr als zehn Jahre lebensfähig bleiben.


Verschiedene Botulismustypen

 
Werden die Bakterien nun ihrerseits von bestimmten Viren befallen, den sogenannten Bakteriophagen, so bilden sie ein extrem starkes Nervengift (Neurotoxin). Doch nur bei einem bestimmten Verhältnis zwischen Bakterien und Bakteriophagen wird Gift gebildet. Von Clostridium botulinum gibt es eine ganze Reihe verschiedener Typen. Bislang wurden sieben Haupttypen beschrieben, benannt mit den Buchstaben A bis G. Die unterschiedlichen Gifte der Typen A bis G haben zwar prinzipiell die gleiche Wirkung, jedoch reagieren Wirbeltiere je nach Art sehr verschieden empfindlich auf die Gifttypen.

Das von Clostridium botulinum produzierte Gift gilt als das stärkste bekannte Gift überhaupt. Theoretisch genügt ein einziges Gramm, um zehn Millionen Menschen zu töten. Das Gift blockiert die Informationsübertragung innerhalb des Nervensystems und zwischen Nerv und Muskel und führt daher zu schweren Lähmungen. Der Tod tritt durch Lähmung von Herz und Atmung ein. Das Gift wirkt ausschließlich auf Wirbeltiere; Wirbellose sind wegen ihres anders aufgebauten Nervensystems nicht betroffen.


Voraussetzungen für Botulismusausbrüche

 
Botulismus tritt meistens im Hochsommer auf, in aller Regel während oder kurz nach einer längeren trockenheißen Wetterperiode. Flachwasserzonen und feuchter Schlamm erwärmen sich dann sehr stark - eine Grundbedingung für das Wachstum von Clostridium botulinum. Ab und zu werden Botulismusausbrüche auch im Winterhalbjahr registriert. Ursache ist meist Gift, das bei einem Ausbruch im Sommer gebildet wurde. Die tödliche Wirkung des Botulinumgiftes Typ C kann nämlich im Freiland bis zu neun Monate lang voll erhalten bleiben. Selten tritt Botulismus ohne vorhergehenden Sommerausbruch auf. Die notwendige Wärme stammt dann aus Einleitungen von erwärmtem Kühlwasser aus Kraftwerken und Industrieanlagen. Da solche Kühlwasserkanäle im Winter oft als einzige Gewässer eisfrei bleiben, kommt es hier oft zu Massenansammlungen von Wasservögeln.

Weitere wesentliche Voraussetzungen für das Wachstum von Clostridium botulinum sind wie erwähnt eine sauerstofffreie Umgebung und ein eiweißreiches Nährsubstrat. Beides findet sich häufig in von Natur aus nährstoffreichen oder in künstlich überdüngten Gewässern. Die meisten Gewässer, an denen es zu Botulismusausbrüchen kommt, sind durch Einleitung von organisch hochbelastetem Abwasser oder durch Eintrag von Mineraldünger und Gülle aus landwirtschaftlichen Nutzflächen massiv gestört. Nährstoffeintrag fördert das Wachstum von Algen, Wasserpflanzen und Kleintieren, besonders in den Flachwasserbereichen. Durch Atmung und Zersetzung von Biomasse wird Sauerstoff verbraucht; Fische und wasserlebende Kleintiere sterben an Sauerstoffmangel und sind so ein ideales Nährmedium für Clostridium botulinum. Für den Ausbruch einer Botulismusepidemie reichen entsprechende Bedingungen in kleinflächigen "Botulismusherden" aus, etwa in flachen Uferzonen oder strömungsarmen Buchten. Solche Bereiche erkennt man oft an Faulschlammbildung und schleimigen Algenwatten.

Die mit Abstand wichtigste Rolle für die Entstehung eines Botulismusausbruchs spielen Kadaver von Wirbeltieren. Besonders Kadaver, die im seichten, warmen Wasser liegen, können schon nach kurzer Zeit hochgiftig werden. Gleichzeitig werden gewaltige Mengen von Sporen gebildet, die beim Zerfall des Kadavers die Umgebung großflächig verseuchen.


Übertragung auf Wasservögel

 
Kadaver werden jedoch nur von Fleisch- und Allesfressern (Greife, Rabenvögel, Möwen) regelmäßig verzehrt. Diese vertragen in der Regel relativ große Giftmengen. Die hauptsächlich vom Botulismus betroffenen Vogelarten wie Gründelenten und Watvögel nehmen das Gift entweder zufällig auf durch kleinste, beim Zerfall verwesender Kadaver freigesetzte Gewebeteilchen oder aber über Wirbellose, die an den Kadavern fressen. Von sehr großer Bedeutung sind dabei die Maden der Schmeiß- und Aasfliegen, die sich in faulendem Fleisch entwickeln. Da Wirbellose gegen das Botulinumgift völlig unempfindlich sind, wird das Gift in den Fliegenmaden bis auf das tausendfache angereichert. Schon der Verzehr einer einzigen Made kann für eine ausgewachsene Ente tödliche Folgen haben!. Zur Verpuppung verlassen die Maden die häufig im oder am Wasser liegenden Kadaver. Wandernde oder driftende Fliegenmaden werden so zur leichten und begehrten Beute von Vögeln mit unterschiedlichsten Techniken der Nahrungsaufnahme -- von gezielt pickenden Kiebitzen, gründelnden Enten, seihenden Löfflern ebenso wie von Flugsammlern wie Zwergmöwe und Trauerseeschwalbe.

Das Gift wurde in vielen weiteren Wassertieren (Insektenlarven, Kleinkrebse, Schnecken) nachgewiesen, die wiederum Hauptnahrung von Sumpf- und Wasservögeln sind. Auch Fische können durch Verzehr vergifteter Kleintiere an Botulismus sterben und in der Folge fischfressende Vögel wie Haubentaucher und Kormoran. Rund ein Viertel aller europäischen Vogelarten steht auf der Liste der Botulismusopfer. Die Verluste sind jedoch von Art zu Art ganz unterschiedlich.


Verwechslungsgefahr mit anderen Ursachen

 
Massensterben bei wildlebenden Vögeln können jedoch auch durch andere Ursachen als Botulismus ausgelöst werden. So fordert beispielsweise die Salmonellenvergiftung alljährlich zahlreiche Opfer. Eine besondere Gefährdung besteht dabei an Stadtgewässern für die unnatürlich hohen Bestände des halbzahmen Wassergeflügels. Durch das ökologisch unsinnige Füttern seitens wohlmeinender Menschen konzentrieren sich die Tiere meist an wenigen Stellen, wo durch ständigen Kontakt mit verdorbenen Futterresten und Kot das Risiko einer Salmonelleninfektion enorm hoch ist. Auch Todesfälle durch giftige Stoffwechselprodukte bestimmter Algen können mit Botulismus verwechselt werden. Eine sehr große Rolle spielen außerdem Vergiftungen durch Umweltchemikalien, aber auch verschossenes Bleischrot. Im Einzelfall kann also nur eine sehr sorgfältige tierärztliche und toxikologische Untersuchung Auskunft über die jeweilige Todesursache eines Vogels geben.


Die Symptome

 
Den ersten Hinweis auf eine Botulismuserkrankung liefern verschiedene Verhaltensweisen, die durch eine von hinten nach vorne fortschreitende Lähmung zuerst der Beine, dann der Flügel und zuletzt des Halses verursacht werden. Entsprechend lassen sich drei Phasen unterscheiden:

Zuerst zeigen die Vögel Unsicherheiten beim Starten und Landen, Unregelmäßigkeiten beim Flügelschlag und verlieren schließlich ihre Flugfähigkeit ganz. Drohenden Gefahren versuchen sie laufend oder schwimmend zu entkommen. In Phase zwei versagen die Beine den Dienst. Die Tiere bewegen sich mühsam mit Hilfe der Flügel fort, Hals und Kopf können oft nur noch mit Mühe aufrecht gehalten werden. In der dritten Phase sind die Beine und Flügel völlig gelähmt, ebenso die Halsmuskeln. Der Hals wird entweder flach auf dem Boden ausgestreckt oder auf den Rücken gelegt. Auf dem Wasser treibende Vögel ertrinken, weil ihnen der Kopf vornüber fällt. Zunehmend erschwerte Atmung sowie ein unregelmäßiger und schwacher Herzschlag zeigen an, dass im Endstadium auch Zwerchfell und Herzmuskel betroffen sind. Schließlich ersticken die Vögel bei vollem Bewusstsein. Viele Tiere sterben wahrscheinlich schon vorher durch Erschöpfung, Hitzschlag, Ertrinken, Verdursten oder werden ein leichtes Opfer von Beutegreifern. Die Krankheit dauert nach einer Inkubationszeit von einigen Stunden bis wenigen Tagen bei Wasservögeln in Abhängigkeit von der aufgenommenen Giftmenge drei bis zwölf Tage.

Auch für Haus- und Nutztiere stellen Botulismusausbrüche bei Wildvögeln ein mögliches Gesundheitsrisiko dar. Obwohl Menschen gegen Botulinumgift des Types C immun zu sein scheinen, ist dennoch Vorsicht im Umgang mit Botulismusopfern angebracht, da in Botulismusgebieten auch für den Menschen gefährliche Typen von Clostridium botulinum auftreten können.


Botulismus-Dokumentationszentrale Hamburg

 
Immer noch steht man dem Wasservogelbotulismus weitgehend hilflos gegenüber. Nicht anders war anfangs die Situation in der Wedeler Marsch, einem international bedeutsamen Feuchtgebiet vor den Toren Hamburgs. Hier verendeten in den letzten Jahren mindestens 52.000 Vögel. Wichtigste Maßnahme zur Bekämpfung von Botulismusausbrüchen ist das regelmäßige, vollständige Aufsammeln der Kadaver, um den wichtigsten Übertragungsmechanismus zu unterbrechen. Vorbeugende Maßnahmen sollten sich nach den Gegebenheiten vor Ort richten; Patentrezepte gibt es nicht. Wichtig ist vor allem eine Verringerung der chemischen und thermischen Gewässerbelastung sowie die Verbesserung der Sauerstoffversorgung bedrohter Gewässer. In der Wedeler Marsch wurden auf Beschluss einer eigens gegründeten Arbeitsgruppe künstliche Priele gebaggert, um die Durchströmung der gefährdeten Wattbereiche zu verbessern. Im Sommer wird regelmäßig der Spülsaum kontrolliert und alle gefundenen Kadaver werden entfernt. Seitdem sind hier keine Botulismusfälle mehr aufgetreten.

Bereits 1984 beschloss der für die Betreuung der Wedeler Marsch zuständige Landesverband Hamburg des Naturschutzbundes, parallel zu den praktischen Maßnahmen eine "Botulismus-Dokumentationszentrale" einzurichten. Ziel dieses Projektes ist es, europaweit Botulismusausbrüche bei wildlebenden Vögeln zu dokumentieren, Kontakte zu Fachleuten im In- und Ausland zu knüpfen sowie das in der Literatur weit verstreute Detailwissen zu sammeln und auszuwerten. So gelang es schließlich, ein dem derzeitigen Kenntnisstand entsprechendes Gesamtbild des Botulismus - speziell bei Wildvögeln - zusammenzufügen. Genau beantwortet werden müssen Fragen nach dem Verhalten der Vögel, der Wirkungsweise der Gifte und der Funktion der Nerven, aber auch nach Zusammenhängen mit der Witterung, den chemischen Verhältnissen und Vorgängen im Wasser bis hin zur Bakterien- und Virenkunde.

Die umfangreichen Ergebnisse der mehrjährigen Arbeit der Botulismus-Dokumentationszentrale werden jetzt in Form eines Fachbuches allen Interessenten zugänglich gemacht. Damit steht erstmals ein vollständiger Überblick zum Botulismus bei Wild- und Hausgeflügel zur Verfügung. Neben den wissenschaftlichen Grundlagen werden in einem praktischen Teil Untersuchungsmethoden sowie Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung von Botulismusausbrüchen behandelt.

Das Buch gibt auch eine Übersicht über die lokale Verbreitung der Seuche in den alten Bundesländern. Leider fehlen entsprechende Daten aus den neuen Bundesländern fast völlig. Die Botulismus-Dokumentationszentrale ist daher an entsprechenden Informationen, vor allem aus den ostdeutschen Ländern, weiterhin sehr interessiert. Auftretende Botulismusfälle sollten unverzüglich gemeldet werden an den NABU-Landesverband Hamburg, Botulismus-Dokumentationszentrale, Habichtstraße 125, 22307 Hamburg.

Wichtig sind genaue Angaben über Lage und lokale Besonderheiten des betroffenen Gebietes, den Zeitraum des Ausbruches, Anzahl und Artzugehörigkeit betroffener Vögel, mögliche Gegenmaßnahmen und veterinäramtliche Untersuchungsergebnisse. Um die Angaben zu vereinheitlichen, kann ein vorgedruckter Fragebogen bei der Botulismus-Dokumentationszentrale angefordert werden.

Durch gezielte interdisziplinäre Forschung einerseits und individuell angepasstes Management andererseits sollte es in Zukunft gelingen, den Botulismus in den Griff zu bekommen und botulismusbedingte Verluste bei wildlebenden Vögeln auf ein erträgliches Maß zu vermindern.


aus: Naturschutz heute, Ausgabe 2/1992, S. 60-62