Schlimmer Raubbau an der Natur

Herzogenrath. Wandergruppen klettern über Baumstämme, die mitten über den Wegen verteilt sind. Jogger schütteln beim Anblick der Waldhänge nur fassungslos den Kopf. Und aufgebrachte Anwohner rufen mittlerweile beinahe täglich bei den zuständigen Behörden in Herzogenrath und Aachen an, um sich dort über die Vorgänge im Wurmtal zu beschweren.
Stein des Anstoßes sind die Rodungsmaßnahmen im sogenannten „Further Wald“. Dieser Abschnitt zwischen Bardenberg/Pley und Herzogenrath gilt als einer der wertvollsten Bereiche des gesamten Wurmtals. Nicht zuletzt wegen der dort befindlichen alten Eichen, Buchen, Eschen und Kirschen ist das Wurmtal seit 1989 Naturschutzgebiet (NSG). „Seit 1998 hat die „grüne Lunge“ zwischen Herzogenrath, Würselen und Aachen sogar den Status eines Fauna-Flora-Habitats (FFH). Dieser Statuts wird durch die Europäische Union verliehen und ist eine der höchsten Bewertungen, die eine Landschaft überhaupt erhalten kann“, erklärt Umweltschützer Günter Kalinka. Er engagiert sich mit der Arbeitsgemeinschaft Wurmtal seit Jahren für einen Erhalt bedrohter Pflanzen und Tiere. Beim Anblick der gerodeten Bäume bringt Kalinka seine Wut zum Ausdruck: „Diese Rodungen sind drastisch und folgenreich für das Wurmtal. Es wurden mehrere hundert Jahre alte Bäume gefällt, das ist ein Skandal.“ Tatsächlich gleicht der „Further Wald“ einer Trümmerlandschaft mit tiefen unwiderruflichen Wunden für Natur und Umwelt. Stephanie van den Berg ist öfters mit ihrem Hund in diesem Teil des Wurmtales unterwegs. Sie ist völlig bestürzt, was in den letzten Wochen dort passiert ist: „Ich wohne in der Nähe und konnte beobachten, dass die Rodungsarbeiten teilweise sogar noch bei Einbruch der Dunkelheit fortgesetzt worden sind. Die Geräuschkulisse war beängstigend und das Ausmaß der Zerstörung bei Tageslicht bestätigt diesen Eindruck“. In der letzten Oktoberwoche wurde nach Aussagen mehrerer Zeugen bereits mit den Arbeiten begonnen. Neben zahlreichen Fichten fielen auch Buchen und Kirschen den modernen Rodungsmaschinen zum Opfer. Mit einem sogenannten „Harvester“, der sonst eher in den Wäldern Kanadas zum Einsatz kommt, wurden die Bäume von einem Forstdienstleister aus der Eifel gefällt. Zum Teil wurde mit dem schweren Gerät bis hinein in den Auenbereich und damit bis unmittelbar an die Wurmmäander heran abgeholzt. Der Forstdienstleister aus der Eifel spricht im Fachjargon lediglich von ordnungsgemäßer Forstwirtschaft. Alles geschehe im gesetzlichen Rahmen und sei mit den zuständigen Behörden streng abgestimmt. Die Sachlage ist durchaus noch ein gehöriges Stück pikanter und undurchsichtiger. Denn es ist unklar, wer der Besitzer des gerodeten Abschnitts überhaupt ist. Ursprünglich gehörten dem Eschweiler Bergwerksverein (EBV) Bereiche des Further Waldes. Doch diese Grundstücke sollen vor einigen Wochen verkauft worden sein. Das Eifeler Forst-Unternehmen wiederum sei lediglich damit beauftragt worden, die Bäume zu fällen. Wirtschaftliche Interessen solle dabei eine Rolle gespielt haben. Ein Blick auf den Holzmarkt verrät tatsächlich - seit einigen Jahren steigen die Holzpreise kontinuierlich an, besonders bei den Buchen und Eichenbäumen. Vorrangig wird das Fällen der Bäume jedoch mit dem angeblichen Befall durch Borkenkäfer begründet. 95 Prozent aller Bäume seien bereits abgestorben, heißt es. Doch bei genauerer Betrachtung der Baumstämme und -stümpfe vor Ort sind keinerlei Anzeichen einer solchen Krankheit zu erkennen. Und auch die Behörden lassen bei den Vorgängen im Wurmtal derzeit Transparenz vermissen. Das Forstamt Aachen gibt lediglich bekannt, dass das Gebiet jetzt im Privatbesitz sei. Zur Sicherheit der Waldwege gibt es vom Forstamt erst gar keine offizielle Äußerung.
Und auch die Untere Landschaftsbehörde der StädteRegion Aachen, die sich um den Natur- und Landschaftsschutz kümmern soll, war nach mehreren Tagen noch nicht einmal zu einer Stellungnahme gegenüber unserer Zeitung bereit.
Eric Claßen