Gerhard Moll: "Das Vogeljahr" (Auszüge)

Gerhard Moll hat durch zahlreiche Veröffentlichungen in der Lokalpresse für den Naturschutzgedanken geworben. Besonders beliebt und alle Jahre mit Spannung erwartet sind seine Jahresberichte gewesen.

 

Hier gibt es Ausschnitte aus diesen Zeitzeugnissen (ausgewählt und für das Internet aufbereitet von Wolfgang Voigt):

  • Rätselvogel im Wurmtal (1999)
  • Die Rückkehr der Würger (1998)
  • Invasion der Seidenschwänze (1996)
  • Vogelbeobachtungen am Blausteinsee (1995)
  • Wasseramsel am Broichbach (1987)
  • Haubentaucherbruten an Angelteichen (1985)
  • Purpurralle am Broicher Weiher (1983)
  • Rotkehlchen auf 360-m-Sohle (1977)
  • Birkenzeisig-Invasion (1972)
  • Wasserralle im oberen Broichbachtal (1970)
  • Seltene Gänse (1967)
  • Friedliche Invasion (1963)
  • Erste Türkentauben (1962)
  • Ein Massenschlafplatz (1961)
  • Ferkelquieken im Schilf (1961)
  • Moll-Tagebücher: Wie alles anfing...

 

 

Rätselvogel im Wurmtal (1999)

Nun beschäftige ich mich schon seit Jahrzehnten mit der einheimischen Vogelwelt. Manchmal bilde ich mir sogar ein, ich wüsste jetzt schon alles über das Aussehen, Verhalten und so weiter "unserer Vögel" und könnte mich daher jetzt eingehender den Gefiederten in anderen Teilen der Welt zuwenden.

 

Wenn man sich schon beinahe für einen Fachmann hält, dann tut einem auch mal ein Dämpfer gut. Mir ging es so am 22. Mai 1999. Zusammen mit dem in Belgien lebenden Ornithologen Horst Handschur wollte ich ganztags das Broichbach- und Wurmtal durchstreifen und dort anhand der singenden Vogelmännchen den

Brutvogelbestand überprüfen. In der Annahme, dass wir alle in Frage kommenden Gesänge seit Jahren in- und auswendig kennen würden, hatten wir unseren Vogelstimmen-CD-Player im Auto und auf dem Parkplatz gelassen. Das sollte sich als schwerer Fehler erweisen. Denn kaum waren wir den ersten Kilometer im Wurmtal gewandert und hatten schon manchen Zaunkönig, Buchfinken und Grünling notiert, da vernahmen wir aus dem Dickicht am Ufer der Wurm einen Gesang, bei dessen ersten Tönen uns klar war: "Den kennen wir nicht!" Zu sehen war der Sänger nicht; aber sein Lied war auffallend laut und wurde mit kurzen Unterbrechungen immer wieder vorgetragen. Eine gewisse Ähnlichkeit meinten wir mit Lautäußerungen des Feldschwirls festzustellen. Dies ist ein kleiner Singvogel, der zum Beispiel in den vergangenen Jahren am Fuße der Bergehalde Anna bei Noppenberg brütete. Sein Gesang erinnert an das Schwirren einer Heuschrecke. Der Unbekannte im Wurmtal sang aber viel kräftiger. Nun gibt es aber in Europa noch mehrere andere Schwirl-Arten, die selten oder gar nicht im Rheinland vorkommen. Ihre Gesänge haben wir alle auf der CD im Auto auf dem Parkplatz. Mein Begleiter rennt zurück zum Wagen, gejagt von dem Gedanken, dass der Rätselvogel vielleicht jeden Augenblick sein Singen beenden könnte. Ich suche mir inzwischen ein Versteck an der Wurm. Der Unbekannte singt unentwegt weiter und lässt sich sogar einige Male erblicken, wenn er im Brombeergebüsch emporklettert. Knapp spatzengroß ist er und sieht graubraun aus. Schweißgebadet kommt Herr Handschur mit CD-Player zurück und spielt alle möglichen Gesänge ab. Leider stimmt keine Aufnahme mit dem Original überein, das da fortwährend nur wenige Meter von uns entfernt ertönt. Enttäuscht darüber, dass wir den Sänger nicht identifizieren können, aber fest entschlossen, das Rätsel bald zu lösen, brechen wir die Exkursion ab. Zu Hause wird in Büchern und auf Tonbändern die Suche fortgesetzt, leider weiterhin erfolglos.

 

Nun wird Günter Venohr in Herzogenrath alarmiert, von dem es heißt, dass er die schärfsten Augen und Ohren weit und breit habe. Er begibt sich noch am selben Tag ins Wurmtal, und als er mich spät abends anruft, hat er zwei interessante Dinge zu berichten: Er hörte diesen unbekannten "Super-Schwirl"-Gesang schon 1998 an derselben Stelle. Zudem beobachten niederländische Ornithologen (Nico Schaafstra und seine Freunde) seit zwei Wochen den Rätselvogel an der Wurm, die ja in diesem Bereich die Grenze zwischen den Niederlanden und Deutschland bildet. Nico hat ihn sogar im Spektiv gesehen und ist sicher, dass es sich um eine Gartengrasmücke handelt. Aber das bezweifle ich ganz energisch. Gartengrasmücke? Ausgeschlossen! Ihren Gesang kenne ich ganz genau. Auf zahllosen Exkursionen konnte ich ihn den Teilnehmern vorführen: "Die Gartengrasmücke singt ohne Punkt und Komma, melodisch, aber ohne besondere Höhepunkte." Nein, die Gartengrasmücke (Sylvia borin) kann es nicht sein!

 

Am nächsten Tag sage ich es auch Michael Kuhn, einem Mitglied der Rheinischen Seltenheitskommission, und da erlebe ich meine zweite Blamage! "Ja", höre ich, "das wird die Lösung sein. Ihr Rätselvogel ist ganz gewiss eine Gartengrasmücke. Lesen Sie mal im Handbuch der Vögel Mitteleuropas nach, was da im Band 12 über den Gesang von Sylvia borin steht".

 

Was fand ich im Handbuch? Diese Art ist die erfolgreichste Stimmenimitatorin unter allen Grasmückenarten. Die Nachahmung der Gesänge von mindestens 20 Vogelarten ist bekannt. Die jungen Männchen lernen wie bei manchen Vogelarten den Artgesang von ihrem Vater. Fällt dieser aus, verunglückt zum Beispiel, so wird der Gesang eines benachbarten anderen Singvogels angenommen. Ist kein passender Ersatz - Vorsänger - vorhanden, wird wahrscheinlich im afrikanischen Winterquartier eine Exotenstimme imitiert und im Frühjahr nach Deutschland gebracht. Wenn das junge Männchen dann ein Revier besetzt und versucht, ein Weibchen anzulocken, dann ist der Misserfolg vorprogrammiert. Kein Gartengrasmücken-Weibchen versteht seinen artfremden Gesang. Deshalb singt der erfolglose Freier pausenlos sein "falsches" Lied. Im Herbst geht es dann wieder nach Afrika, und - laut Handbuch - kommt der Falschsänger im nächsten Jahr in dasselbe Revier zurück.

 

Um einen solchen Fall scheint es sich bei unserem Rätselvogel zu handeln. Sehr gerne hätten wir herausbekommen, wessen Gesang er in Afrika angenommen hat. Es wurden mehrere Tonbandaufnahmen angefertigt und an drei Professoren geschickt, die als Experten für exotische Vögel gelten. Wir sind gespannt darauf, ob der so merkwürdig singende Gartengrasmückenmann im Jahr 2000 nochmals ins Wurmtal zurückkehrt.

 

(aus: GERHARD MOLL, Das Vogeljahr 1999)

 

 

 

Die Rückkehr der Würger (1998)

Die Rückkehr der Würger: Dies klingt nach einem Krimi und scheint gar nichts mit der Vogelwelt zu tun zu haben. Wenn wir jedoch in einem Biologiebuch blättern, lesen wir, daß es unter den mehr als 8.000 Vogelarten unserer Erde ungefähr 70 gibt, die man zu der Familie der "Würger" zusammenfaßt. Der schwedische Naturforsche Linné gab ihnen den lateinischen Namen "Lanius", was soviel wie "Metzger" heißt.

 

Zwei Würger-Arten waren noch vor 40 Jahren regelmäßig bei uns zu beobachten: als Brutvogel der kleine Rotrückenwürger oder Neuntöter (Lanius collurio) und als Wintergast der größere Raubwürger (Lanius excubitor).

 

Wie kommen nun Singvögel zu solchen diffamierenden Namen? Schon in alten Zeiten hatte man bemerkt, daß diese Vogelgruppe Besonderheiten aufweist, sowohl im Aussehen wie auch im Verhalten. Zum abwechslungsreichen Gesang des Neuntöters will der an einen Falken erinnernde Hakenschnabel gar nicht passen, und die dunkle Augenbinde des Männchens ist leicht mit der Karikatur eines Gewaltverbrechers in Verbindung zu bringen. Was ihm aber (unter anderem vom Tiervater Brehm) als schlimme Grausamkeit angekreidet wurde, war die Behandlung seiner Beutetiere, zu denen nicht nur Insekten, sondern auch Mäuse und kleine Jungvögel zählen. Diese spießt er nämlich auf Dornen oder Stacheln auf oder klemmt sie in Astgabeln. Erst wenn er auf diese Weise neunmal gemordet hat - so hieß es -, fängt er mit dem Fressen an, daher der Name "Neuntöter". So wurde der hübsche Vogel mit dem rotbraunen Rückengefieder auch weiterhin genannt, als man längst wußte, daß es sich bei der angeblichen Grausamkeit nur um eine angeborene Vorratswirtschaft handelt. Seine Beutetiere stehen ihm nur bei günstiger Witterung zur Verfügung.

 

Wenn dieser Vogel mehr erbeutet, als er im Augenblick verzehren kann, so bewahrt er eben den Überschuß für Regentage auf. Mit der Zahl Neun und mit Grausamkeit hat das natürlich nichts zu tun. Grausam ist es allerdings, wenn wir Menschen im Kampf gegen tatsächliche oder vermutliche Schädlinge soviel Gifte einsetzen, daß der Neuntöter nicht mehr genug Nahrung für sich und seine Jungen finden kann. Seit 1958 konnte ich keine erfolgreiche Brut des Neuntöters in unserer engeren Heimat mehr feststellen. Nur ganz selten gab es noch ab und zu einen Durchzügler.

 

Sehr groß war nun die Freude aller Ornithologen, als sich in der Nähe von

Herzogenrath ein Neuntöter-Pärchen zeigte und wochenlang in einem Gebiet ohne land- und forstwirtschaftliche Nutzung aufhielt. Aus gebührender Entfernung wurden die beiden Würger mit dem Spektiv beobachtet, und im August wurden erstmals drei flügge Jungvögel gesichtet, die unter anderem mit Hummeln gefüttert wurden.

 

(aus: GERHARD MOLL, Das Vogeljahr 1998)

 

 

 

Invasion der Seidenschwänze (1996)

Während ich diese Zeilen niederschreibe, geht mein Blick hinein in den winterlichen Garten, und sofort sind meine Gedanken beim herausragenden ornithologischen Ereignis des vorigen Winters. Ich meine die plötzlich einsetzende Invasion der Seidenschwänze. Diese ungefähr starengroße Volgelart ist gekennzeichnet durch ihr seidiges bräunliches Gefieder mit einem schwarzen Kehlfleck und einer aufrichtbaren Federhaube. Der Schwanz ist dunkel mit einer gelben Endbinde.

 

Daher kommt der lateinisch-griechische Gattungsname "Bombycilla" (bombyx = Seide, cilla = Schwanz). Der zweite Teil des wissenschaftlichen Namens "garrulus" (geschwätzig) bezieht sich auf den Gesang, der wie das Geplauder der Stare klingt und viele Sirr-Laute enthält.

 

Das Brutgebiet der Seidenschwänze liegt in der russischen Taiga sowie in einigen Gegenden Finnlands, Schwedens und Norwegens. Ihre Nahrung besteht zur Brutzeit vorwiegend aus fliegenden Insekten und in der kalten Jahreszeit aus Früchten, wobei Beeren der Eberesche und des Schneeballs bevorzugt werden.

 

Wenn das Nahrungsangebot reichlich ist, bleiben die Seidenschwänze im Winter in ihrer nordischen Heimat. Nur wenige begeben sich als sogenannte Teilzieher auf die Wanderung nach Südwesten und erreichen dann oft Mitteldeutschland. Falls jedoch einmal die Früchte knapp werden, dann begibt sich etwa ab Oktober die gesamte Population auf die große Reise, und es kommt im westlichen Europa zu einer regelrechten Invasion.

 

Das erlebten wir im Aachener Raum in den Jahren 1956, 1965, 1978, 1982, 1983 und 1993. In unserer engeren Heimat stellten wir aber immer nur einzelne der seltenen Vögel - bis zu sieben - fest.

 

Im vergangenen Jahr erreichten uns viel mehr Seidenschwänze. Am 2. Februar zeigten sich die ersten sechs in Herzogenrath. Einige Tage später waren in Alsdorf sieben an den roten Früchten des Gemeinen Schneeballs. Dort konnten am Heidweg am 25. Februar vergangenen Jahres 52 Teilnehmer einer Exkursion des Aachener Ornithologischen Vereins ein ganzes Dutzend dieser so auffallend schönen Wintergäste bewundern. Bis zum 19. März war der Seidenschwanz-Trupp bei uns, wobei die Höchstzahl der gleichzeitig beobachteten Vögel 21 betrug. Viele Naturfreunde kamen in den Genuß solcher Rarität.

 

Leider mußten wir aber auch die bittere Erfahrung machen, daß es Mitbürger gibt, für die ein schöner seltener Vogel einen ansehnlichen Wert in Mark oder Gulden darstellt und den man entgegen allen Vogelschutzgesetzen lebend oder tot in seinen Besitz bringen will.

 

In Herzogenrath fanden Mitglieder des Naturschutzbundes Deutschland und ihre niederländischen Freunde allein an einer Stelle sieben Leimruten, das heißt zirka 20 Zentimeter mit Leim bestrichene Stöckchen, die zwischen den Beerenbefestigt waren und an denen die Vögel mit ihrem Gefieder hängen blieben. Drei Opfer dieser barbarischen Fangmethode wurden festgestellt. Es ist schon sehr bedenklich, daß es unter uns Leute gibt, die solche Freveltat begehen!

 

(aus: GERHARD MOLL, Das Vogeljahr 1996)

 

 

 

Vogelbeobachtungen am Blausteinsee (1995)

von Gerhard Moll


Den monatlichen Besuch der Mülldeponie Warden verbinden meine Mitarbeiter und ich mit einem Abstecher zum Blaustein-See bei Eschweiler.
Dieses Gewässer ist auf den Landkarten und Messtischblättern noch gar nicht zu finden. Seit Ende 1994 entsteht es im Braunkohlen-Rekultivierungsgebiet und soll bis 2006 fertig sein.
Die “Müllmöwen” haben den neuen See längst entdeckt, da er ja nur drei Kilometer Luftlinie von der Deponie entfernt ist. Sie fliegen dorthin zum Baden, Trinken und wahrscheinlich auch zum Übernachten. Bevölkert wird die Wasserfläche oft von sechs verschiedenen Entenarten, von Blessrallen, sowie Zwerg- und Haubentauchern. Am Ufer stehen manchmal bis zu 16 Graureiher. Am 27. August 1995 erschien sogar eine Falken-Raubmöwe, die sich nur ganz selten ins Binnenland verirrt. 
Besonders interessant ist für Ornithologen das Rekultivierungsgebiet in der Umgebung, soweit es noch nicht in die landwirtschaftliche Nutzung einbezogen ist.
Ausgedehnte Luzernefelder und Brachflächen wimmeln offensichtlich so stark von Mäusen, dass Greifvögel in großer Zahl angelockt werden. Ansammlungen von 28 Bussarden und 20 Turmfalken sind keine Seltenheit. Als Bodenbrüter zogen zwei Rohrweihen-Paare ihre Jungen auf.
Sogar die seltene Wiesenweihe brütete in der Luzerne. Drei Jungvögel wurden flügge. Als Nahrungsgast hielt sich von Ende Juli bis Anfang September sogar ein Zwergadler (Hieraaetus pennatus) am Blaustein-See auf. Seine Heimat liegt vor allem in Südeuropa und erstreckt sich in Frankreich bis Lothringen. Von dort stammte wahrscheinlich “unser” Zwergadler. Aus dem gesamten Rheinland kamen Ornithologen, um diese Seltenheit zu bestaunen. Als Gäste aus Nordeuropa wurden am 23. Oktober 20 Sumpfohreulen beobachtet. 

Auf dem Durchzug im Herbst verweilten etwa 1.000 Kiebitze in der Umgebung des Sees. Diese Art ist der Vogel des Jahres 1996.

 

 

 

(aus: GERHARD MOLL, Das Vogeljahr 1995)

 

 

 

Wasseramsel am Broichbach (1987)

von Gerhard Moll

 

Am 12. Dezember gehe ich von Ofden ins Broichbachtal hinab. An der Brücke neben der Kellersberger Mühle verweile ich, um - mehr oder weniger gewohnheitsgemäß - den Bachlauf mit dem Fernglas abzusuchen. Es könnte ja eine verspätete Bachstelze dort sein oder sogar eine Gebirgsstelze, vielleicht aber auch nur eine Teichralle.
Was ich jedoch auf einem Stein der Uferbefestigung sehe, lässt mein Herz spürbar schneller schlagen: Da steht tatsächlich eine Wasseramsel! Ihretwegen war ich gerade einige Wochen zuvor in die Eifel gefahren, wo sie ja an der Rur und ihren Nebenbächen ein regelmäßiger Brutvogel ist. So eine Überraschung! Der Vogel lässt sich aus geringer Entfernung sehr gut beobachten; schön hebt sich die weiße Brust vom dunklen Bauchgefieder ab. Von Zeit zu Zeit watet die Wasseramsel in den Broichbach hinein und nimmt unter Wasser Nahrung auf, vermutlich Insektenlarven.
Woher mag sie wohl stammen? In der holländischen ornithologischen Literatur wird angegeben, dass in jedem Winter Wasseramseln der skandinavischen Unterart in den Niederlanden festgestellt werden. Da ich mir jede Einzelheit des Gefieders genau einprägen kann, wird mir zu Hause beim Durchstöbern der einschlägigen Vogelbücher klar, dass auch “meine” Wasseramsel zu den schwedischen bzw. norwegischen Vögeln gehört, die unser Gebiet für den warmen Süden halten. Wahrscheinlich sind auch die 1986 bei uns beobachteten Wasseramseln der skandinavischen Unterart zuzuordnen.
Sehr erfreulich ist es auch, dass unser einst so verschmutzter Broichbach nun wieder eine so gute Wasserqualität aufweist, die ein Kleintierleben ermöglicht und damit die Nahrungsgrundlage für die Wasseramsel, die ja als einziger Singvogel unter Wasser “jagt”. Das ist bestimmt ein großer Erfolg des zuständigen Wasserverbandes. Ihn wird die Anwesenheit einer Wasseramsel sicher mit Freude erfüllen und anspornen, nach der Verbesserung der Qualität des Wassers auch durch Renaturierung eine bessere Gestaltung des Bachlaufes und der Ufervegetation in Angriff zu nehmen.

 

 

 

Haubentaucherbruten an Angelteichen (1985)

von Gerhard Moll

 

Zweimal schaute ich 1985 meine Gewährsleute sehr ungläubig an. Das war zuerst im April, als mir versichert wurde, auf dem kleinen Herzogenrather Angelteich, dem sogenannten “Titi-See”, brütete ein Haubentaucherpaar, und dann später im Juni, wie behauptet wurde, am Alsdorfer Weiher zwischen Wasserrutschbahn und Anglersteg befände sich ebenfalls ein Haubentauchernest. Und beide Male hatten die Beobachter recht! Ich konnte mich davon überzeugen, dass trotz der Nähe der Menschen jeweils ein Paar brütete.
Der Haubentaucher steht in der “Roten Liste” von 1979 noch in der Stufe A 4 der gefährdeten Vögel, er hat sich zwar seitdem wieder erfreulicherweise vermehrt, aber in Anbetracht der Lage der Nester war hier mein erster Gedanke: “Das kann ja gar nicht gut gehen!” Tatsächlich wurde auch das erste Nest am Titi-See verlassen, aber nur, um in der gegenüber liegenden Ecke des Teiches erneut gebaut zu werden. Hier in einer minimalen Schilf-Ecke schlüpften Ende Mai fünf Junge und in Alsdorf drei. Beinahe hätte es auf dem Herzogenrather Rückhaltebecken auch noch eine erfolgreiche Haubentaucherbrut gegeben. Dieses dritte Paar hatte jedoch das Unglück, dass das Schwimmnest zweimal bei Hochwasser unterging. Alle Haubentaucher verließen im September bzw. Oktober das Broichbachtal.
Dass die Bruten und die Aufzucht so vorzüglich klappten, ist in beiden Fällen der sehr guten Zusammenarbeit der Vogelschützer mit den zuständigen Angelsportvereinen zu verdanken. Welch erfreuliche Sinnesänderung, wenn man bedenkt, dass früher alle Tauchvögel als “Fischräuber” schonungslos verfolgt wurden und dass jetzt gerade die Angler ihre helle Freude an den gefiederten “Konkurrenten” haben und sie gegen zu neugierige Spaziergänger und rücksichtslose Fotografen in Schutz nehmen!


(aus: GERHARD MOLL, Das Vogeljahr 1985)

 

 

 

Purpurralle am Broicher Weiher (1983)

von Gerhard Moll

 

Am 17.8.83 sah K. Martin, Pensionär und Angler, am Broicher Weiher in einer Schilfinsel einen ihm bisher unbekannten Vogel, der gewisse Ähnlichkeit mit der allerdings viel kleineren Teichralle hatte. Der klobige rötliche Schnabel und die relativ langen Beine fielen auf; aber das Erstaunlichste und zugleich Schönste war das blaue Federkleid des Vogels.

 

Zu Hause kam der Beobachter dann anhand eines Vogel-Bestimmungsbuches zu dem verblüffenden Schluß: ‘Das muß eine Purpurralle sein! Die gibt es in Deutschland zwar gar nicht sondern nur in Südspanien, Nordafrika, in der Türkei usw.; aber es kann gar nichts anderes als eine Purpurralle sein!’ Er rief nun J. Jossen, Mitglied des Ornithologischen Vereins, an und teilte ihm seine Entdeckung mit. Dieser war sehr skeptisch, fuhr jedoch sofort, bewaffnet mit Fernglas und einschlägiger Literatur, zum Broicher Weiher und konnte bestätigen: ‘Purpurralle (Porphyrio porphyrio), auch Purpurhuhn genannt!’ Nun kam eine Lawine ins Rollen: Die Vorstände der Ornithologen und Vogelschützer, die Gesellschaft Rheinischer Ornithologen usw. wurden verständigt; denn es handelte sich um das erste Erscheinen dieser Vogelart im Rheinland und um die 8. Beobachtung seit 1788 für ganz Deutschland! Die Sensation am Broicher Weiher lockte zahlreiche Fachleute an. Ihre Geduld wurde meistens auf eine harte Probe gestellt; denn der Vogel war sehr scheu und kam nur selten aus seinem Schilfversteck heraus. Gelegentlich schwamm er, indem er beide Füße abwechselnd bewegte und die Fußgelenke weit aus dem Wasser schauen ließ. Diese Fortbewegungsart veranlaßte einen Zuschauer zum Ausruf: ‘Wie ein alter Mississippi-Raddampfer!’ Ab und zu bewies die Purpurralle durch Rundflüge ihre volle Flugfähigkeit. Dieser Umstand, sowie ihre große Scheu und die Tatsache, daß sie nicht beringt oder auf andere Weise gekennzeichnet war, ließen berechtigten Zweifel daran aufkommen, ob es sich vielleicht um einen Zooflüchtling handelte. Hinweise über die Herkunft des seltenen Gastvogels fehlen bisher gänzlich.

 

(aus: GERHARD MOLL, Das Vogeljahr 1983)

 

 

 

Rotkehlchen auf 360-m-Sohle

von Gerhard Moll

(Foto: Monika Voigt)
(Foto: Monika Voigt)

Es ist bekannt, daß man in den Anfangszeiten des Bergbaues Kanarienvögel mit ins Bergwerk nahm. Sie sollten dort nicht etwa die Bergleute durch ihren Gesang erfreuen, sondern sie sollten durch ihr Wohlbefinden anzeigen, daß ihr "Wetter", d.h. die Zusammensetzung der Luft da drunten in Ordnung war. Wurde einer der zarten Vögel plötzlich matt oder starb sogar, dann war Gefahr im Verzuge, und die Bergleute waren gewarnt.

 

So war das vor langer Zeit; aber Anfang Dezember 1977 war es ganz anders. Da sang nämlich tatsächlich auf der 360-Meter-Sohle ein Rotkehlchen, jedoch kein zahmes, das jemand im Käfig mitgebracht hatte, sondern ein Wildvogel, der bei Annäherung von Menschen fortflog und über dessen Herkunft man hin- und herrätselte.

 

Die einzige Erklärung war folgende: Über Tage auf dem Materialplatz hatte sich das Rotkehlchen, vielleicht ein nordischer Wintergast, ausgerechnet einen offenstehenden Wagen als Schlafplatz ausgesucht. Als morgens in der Dunkelheit die ersten Kumpels zur Schicht kamen, klappten sie über den schlafenden Vogel den Wagendeckel zu, und hinein ging es in den Förderkorb und hinab in 360 m Tiefe! Beim Öffnen des Wagens kam das Rotkehlchen dann heraus und war damit wohl das erste seiner Art in der Grube "Anna". Es wurde mehrere Tage im gleichen Revier beobachtet und sang sogar. Da es hingestreuten Körnern und Brotkrumen keinen rechten Geschmack abzugewinnen schien, erkundigte man sich bei einem Arbeitskollegen, der DBV-Mitglied ist, was so einem Rotkehlchen am besten schmeckt. Das richtige Weichfutter wurde besorgt. Als dieses sofort begierig angenommen wurde, ging es ans Konstruieren einer Kastenfalle à la Wilhelm Busch, in die reichlich Futter als Köder gestreut wurde.

 

Der 13. Dezember wurde dann für das Rotkehlchen zum Glückstag. Es wurde gefangen und konnte mit der nächsten Seilfahrt ausfahren und anschließend in die Freiheit hinausflattern. Sein erster Übertage-Ruf könnte sich angehört haben wie "Glückauf!".

 

(aus: GERHARD MOLL, Das Vogeljahr 1977)

 

 

 

Birkenzeisig-Invasion

von Gerhard Moll

 

Der zu den kleineren Finkenvögeln zählende Birkenzeisig, der jetzt den wissenschaftlichen Namen Acanthis flammea trägt (bis vor kurzem Carduelis flammea), ist vor allem ein Bewohner der nordischen Birken- und Nadelwälder, sowie des Weidengestrüpps der Tundra. Er ist rings um den Nordteil des Globis verbreitet, von Alaska bis Labrador, auf Grönland und Island, von Skandinavien bis Sibirien. Er brütet ebenfalls auf den Britischen, sowie neuerdings auf den West- und Ostfriesischen Inseln. Sein Vorkommen in einigen mitteleuropäischen Gebirgen (z.B. in den Alpen und Karpaten) ist sicher damit zu begründen, daß nach der letzten Eiszeit sich die Nadelwälder z.T. nach Norden und z.T. in die Hochgebirge zurückzogen.

 

Das Federkleid des Birkenzeisigs ist zwar im allgemeinen recht unscheinbar (Oberseite bräunlich, Unterseite weißlich), aber auffallend sind die Hauptkennzeichen: schwarze Kehle, roter Scheitel und zwei weiße Flügelbinden; hinzu kommt beim Männchen die karmesinrote Brust.

 

Diese zierlichen Vögel sind sogenannte Teilzieher, d.h. sie bleiben größtenteils auch im Winter in ihrem Brutgebiet, nur ein Teil weicht dann in südliche Regionen aus. Dabei wird unser engerer rheinischer Raum nur unregelmäßig und selten berührt. In anderen Jahren jedoch erfolgen regelrechte Invasionen, die weit nach Süden und Westen führen und an denen sich viele Tausende der rotköpfigen Vögel beteiligen. Die Ursache solcher Massenwanderungen wird in einer zu starken Vermehrung der Birkenzeisige und im Mangel an Früchten der Erlen und Birken im Brutgebiet zu suchen sein.

 

Schon im Frühherbst 1972 kündigte sich eine solche Invasion, als aus Finnland das Massenauftreten von Birkenzeisigen gemeldet wurde. Am 11. und 12. November wurden dann bereits an der mecklenburgischen Ostseeküste bei Warnemünde in zusammen knapp 9 Stunden über 20.000 Exemplare im Durchzug nach Westen beobachtet. Anschließend häuften sich die Meldungen über den Einfall von Birkenzeisigen aus vielen Teilen Mittel- und Westeuropas. Am 4. Dezember 1972 hatte die "Vorhut" unser Gebiet erreicht, als K. Gluth einen Trupp am Broicher Weiher feststellte. Wenige Tage später konnte P. Piefer in Herzogenrath schon etliche für die Vogelwarte Helgoland fangen und beringen. Die Teilnehmer der Dezember-Exkursion der Volkshochschule und des Deutschen Bundes für Vogelschutz hatten Gelegenheit, ihm bei dieser Tätigkeit zuzuschauen. Schließlich erlebten sie einen Schwarm von etwa 80 Birkenzeisigen nahe der Broicher Kläranlage. Mit einigen grünlichen Erlenzeisigen turnten sie wie winzige Papageien an den dünnen Zweigen und holten, z.T. kopfwärts hängend, die Samen aus den Erlenzapfen.

 

Bis Ende Februar 1973 konnte man die Invasionsvögel noch an mehreren Stellen sehen, z.B. am Bahndamm bei dem Haltepunkt Mariagrube, wo sie an den trockenen Rainfarn-Stauden kletterten und bewiesen, daß auch die Sämereien der Kräuter auf ihrem Speiseplan stehen.

 

(aus: GERHARD MOLL, Das Vogeljahr 1972)

 

 

 

Wasserralle im oberen Broichbachtal (1970)

von Gerhard Moll

  

Die vogelkundliche Lehrwanderung im Monat März des Jahres 1970 stand zwar als “Vorfrühlingswanderung” im Programm der VHS, aber den 17 Teilnehmern war es doch recht winterlich zumute, als sie im Schneegestöber vom Kellersberger Hof in den Wald zogen. Es erschien anfangs fraglich, ob überhaupt Vögel beobachtet werden könnten. Tatsächlich dauerte es eine geraume Zeit, bis endlich im dichten Gestrüpp, an der Kranentalsmühle als erste eine Heckenbraunelle, ein unscheinbarer Singvogel, entdeckt wurde.
Als man jedoch an die windgeschützte Ostseite des Bahndammes gelangte und sich das Wetter merklich besserte, konnte in rascher Folge noch eine Reihe weiterer Vogelarten, insgesamt 22, festgestellt werden.
Den Höhepunkt bildete zweifellos die Beobachtung einer Wasserralle (Rallus aquaticus). Dieser äußerst scheue Sumpfvogel gehört zu den Kostbarkeiten des Broichbachtales. Er ist ein kleinerer Verwandter des häufigen Teichhuhns, welches richtiger Teichralle genannt werden müsste, da es außer der Körpergröße gar nichts mit den Hühnern zu tun hat.
Die Wasserralle besitzt einen auffallend langen roten Schnabel. Ihr brauner Rücken steht im Kontrast zur blaugrauen Vorderseite und den eigenartigen “Zebrastreifen” an den Flanken. Als Lebensraum beansprucht diese Ralle Sumpfboden mit starkem Bewuchs. Glücklicherweise gibt es im Broichbachtal trotz aller Bachregulierungen und Geländeveränderungen noch genug solcher Stellen, so dass nach den Untersuchungen der letzten Zeit wahrscheinlich noch 6 bis 8 Paare der Wasserralle vorhanden sind.
Ein Glücksfall war es, dass sich ein Exemplar dieser seltenen Vogelart in der Nähe des Broicher Weihers von einer so großen Zahl von Beobachtern betrachten ließ, wie es am Rande eines Grabens eifrig in Laub und Morast nach Nahrung suchte.
Besonderes Interesse erregten weiterhin die bei der Broicher Kiesgrube abstreichenden Bekassinen, sowie zwei Greifvögel, ein Mäusebussard und ein Turmfalke, und ein Schwarm von ca. 40 ostwärts ziehenden Lachmöwen.

(aus: Aktuelles im Wurmrevier vom 7.3.1970.)

 

 

 

Seltene Gänse (1967)

Die größte Überraschung im Jahre 1967 und eine Erstbeobachtung für unser Gebiet gab es am 29. November, als ich bei steifem Westwind und Regenwetter die Fläche des Staubeckens in Herzogenrath mit dem Fernglas absuchte. Da lagen unweit des Südufers zwei verhältnismäßig große Vögel auf dem Wasser, in deren Gefieder mir viel Weiß und etwas Braun auffiel. Des schlechten Wetters und der großen Entfernung wegen konnte ich zunächst nicht ausmachen, um was für Schwimmvögel es sich handelte; doch war es mir klar, daß ich Tiere dieser Art im Broichtal bisher nicht beobachtet hatte.

 

In die Freude, etwas Seltenes vor mir zu haben, mischte sich die Befürchtung, daß die beiden davonfliegen könnten, ehe ich ihre Artzugehörigkeit einwandfrei festgestellt hätte. Sehr schnell, aber unbemerkt mußte ich erheblich näher an sie herankommen! Ich schlug einen großen Bogen um das Südufer herum, holte bis zur Ruifer Straße aus und pirschte dann wie ein Indianer wieder an das Staubecken heran, bis ich die Böschung oberhalb meiner "Beute" erreicht hatte.

 

Vorsichtig lugte ich über das nasse Gras, und nun konnte ich sie genau erkennen: Brandgänse (Tadorna tadorna)! Um den weißen Körper liegt eine breite fuchsrote Binde. Von den grünlichschwarzen Köpfen und Hälsen heben sich die roten Schnäbel ab. Das eine Tier besitzt auf dem Schnabel einen deutlichen Höcker, es ist also ein Männchen.

 

Von den Ostfriesischen Inseln her ist mir diese Art bekannt; aber bei Alsdorf hätte ich sie nicht erwartet. Vielleicht waren sie durch anhaltenden Westwind von der holländischen Küste nach hier verdriftet.

 

Brandgänse werden von einigen Ornithologen auch als Brandenten bezeichnet, da sie in ihrer Größe gerade auf der Mitte zwischen Gänsen und Enten stehen.

 

(aus: GERHARD MOLL, Das Vogeljahr 1967)

 

 

 

Friedliche Invasion (1963)

von Gerhard Moll

Bei einem Spaziergang durch das untere Broichbachtal fallen mir innerhalb des Geländes der Alsdorfer Kläranlage zwei gelbblühende Pflanzenarten besonders auf. - Die eine ist allgemein gut bekannt. Es ist der Besenginster (Sarothamnus scoparius), dessen leuchtenden Schmetterlingsblüten ihm auch den Namen "Eifelgold" eingebracht haben. Er wächst gerne auf den ziemlich trockenen Dämmen der Anlage. - Aber die zweite Pflanzenart ist mir völlig unbekannt. Von ihr stehen ungefähr 20 Exemplare in der zur Zeit wenig gefüllten Schlammlagune I und weitere 5 bis 10 Stück auf der inselartigen Schlammfläche in der Lagune II. Auch von weitem sind sie nicht zu übersehen wegen der außergewöhnlich hellgrünen Stängel und Blätter und wegen der zahlreichen blassgelben Blüten. - In meinem reichbebilderten Pflanzenbestimmungsbuch findet sich keine Darstellung, die zu der gefundenen Blume passen will. Ich nehme eine Pflanze mit nach Hause und stelle folgendes fest:
Stängel: 1,20 m hoch, am Grunde 5 cm Durchmesser, hohl; mit weichen Haaren besetzt; am oberen Ende klebrig.
Blätter: im allgemeinen lanzettlich, untere gesägt; wechselständig, umfassen den Stängel zur Hälfte; weichhaarig.
Blüten: ungefähr 30 Korbblüten in einer Doldenrispe vereinigt; jedes Körbchen ca. 1,5 cm Durchmesser; angenehmer honigsüßer Duft. -
Damit steht allerdings nur fest, dass die unbekannte Blume zur Familie der Korbblütler gehört, also eine der 14.000 Verwandten des Löwenzahns und Huflattichs ist. - Ich durchblättere manches Fachbuch, komme jedoch zu keiner einwandfreien Klärung.
Da erzählt mir ein Bekannter, er habe irgendwo etwas von einer seltenen Pflanze gelesen, die von Holland her eingewandert sei; vielleicht hinge meine Beobachtung damit zusammen. Leider hat der Herr den Pflanzennamen vergessen, und den Zeitungsartikel findet er auch nicht wieder.
Schon habe ich mich damit abgefunden, dass die Pflanze als die "schöne Unbekannte aus dem Broichbachtal" in meinem Exkursionsbuch stehen bleiben wird, da hilft mir der Zufall. Ich nehme an einer Tagung teil, auf der als Gast der führende westfälische Botaniker Dr. R. zugegen ist. Beim Mittagessen sitze ich ihm gegenüber. Da fällt mir meine namenlose Pflanze ein. Ich beschreibe sie ihm, setze hinzu, dass sie möglicherweise zu der Art gehören könne, die aus Holland eingewandert sein soll, und frage ihn, was er als Fachmann dazu meine. - Seine überraschende Antwort: "Wissen Sie, dass sie mich jetzt beleidigen?" - Dummes Gesicht meinerseits; lebhaft bereue ich schon, das Gespräch begonnen zu haben. Er fährt fort: "Die Pflanze Senecio tubicaulis, bzw. paluster, bzw. congestus soll nicht aus Holland eingewandert sein, sondern sie ist einwandfrei von dort gekommen. Als deutscher Sachbearbeiter gerade dieser Angelegenheit habe ich mehrfach darüber geschrieben und diesbezügliche Mitteilungen durch Presse und Rundfunk veröffentlichen lassen. Aber anscheinend hat es sich immer noch nicht herumgesprochen, wie wichtig für uns jede Nachricht über diese Pflanze ist!"
Nachdem ich mich meiner Unwissenheit wegen gebührend entschuldigt habe, merke ich dann, wie sehr sich Dr. R. freut, eine erste Kunde aus dem Aachener Raum über "seine" Senecio tubicaulis zu erhalten. In einem längeren freundschaftlichen Gespräch erfahre ich dann noch eine Reihe von interessanten Einzelheiten, die ich im folgenden kurz zusammenstellen möchte.
Unser Fund, der eben schon unter drei verschiedenen Namen vorgestellt wurde, wird auf Deutsch "Moorkreuzkraut" genannt. Statt Kreuz-Kraut hieß es früher richtig Greis-Kraut; denn wie ein Greisenhaupt sieht zu Anfang des Sommers der Fruchtstand aus, wenn jedes Samenkorn mit weißen Haaren versehen ist. Dieser sogenannte "Pappus" dient dann den Samen bei ihrer Flugreise als Fallschirm.
Als Standort liebt die Pflanze vor allem Schlammflächen, die erst vor kurzem trocken geworden sind und auf denen sich noch keine Vegetation entwickelt hat. - Das Moorkreuzkraut war in Nordwestdeutschland schon immer selten; aber seit 1937 etwa konnte man es als ausgestorben bezeichnen. - Geeigneten Boden fand die Art, als die Niederländer nach dem Kriege den Zuidersee-Polder "Ost-Flevoland" trockenlegten. Es bildeten sich wahre Massenbestände von Moorkreuzkraut, und 1958 wurde zum ersten mal festgestellt, das große Mengen von Samen in andere Teile der Niederlande verweht wurden. 1959 begünstigten ein überaus trockener Sommer und heftige Westwinde die Verbreitung der Pappus-Fallschirme nach Osten. Der holländische Botaniker D. BAKKER verfolgte im Wagen eine riesige Wolke von Samen des Moorkreuzkrautes über eine Strecke von 90 km; dann musste er aufgeben. Die Luftinvasion aber überschritt die deutsche Grenze und erreichte zum Teil 200 km entfernte Landeplätze.
An vielen Orten Nordwestdeutschlands siedelte sich in der Folgezeit das Moorkreuzkraut an. Ihm kam zustatten, dass 1959 wegen der herrschenden Dürre an allen möglichen Gewässern Schlammstreifen entstanden waren, die geradezu auf Senecio tubicaulis warteten. In den nächsten Jahren gingen bei erhöhtem Wasserstand zwar viele der neuen "Kolonien" wieder zugrunde; aber der Westwind trieb an manchen Stellen die Invasion noch weiter in die Bundesrepublik hinein. Die Spitzen der Einwanderung erreichten im Nordosten bis 1961 die Insel Helgoland, in Richtung des Hauptvorstoßes nach Osten wurden Hannover und Fallersleben "genommen", während der südöstlichste Punkt der Ausbreitung vorläufig bei Cochem an der Mosel liegt.
Ob die bei Alsdorf entdeckten Bestände des Moorkreuzkrautes nun unmittelbar von Ost-Flevoland stammen oder ob ihre Vorfahren die Luftreise sozusagen in Etappen zurücklegten, wird kaum festzustellen sein. Wahrscheinlich hat das Moorkreuzkraut 1960 zum ersten Mal im Broichbachtal geblüht. - Ob es auch in der näheren Umgebung Alsdorfs vorkommt? - Wie lange sich dieser interessante Eindringling wohl bei uns halten wird?

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Anmerkung der Homepage-Redaktion:


Die letzten Feststellungen stammen von der im Artikel angesprochenen Kläranlage Broichbachtal in Alsdorf aus dem Jahre 1980 (WILFRIED MOLL), vom Vorbecken des Rückhaltebeckens Herzogenrath Anfang der 70er Jahre (ERWIN PATZKE) und vom Broicher Weiher in Alsdorf im Jahre 2000 (WOLFGANG VOIGT; hier die erste Beobachtung im Jahre 1987, VOIGT).

 

 

 

Erste Türkentauben (1962)

Die schon seit langem fällige Entdeckung des Jahres war die Türkentaube (Streptopelia decaocto). Zuerst konnte sie im Juli mehrfach am Ende des Broichtales in Herzogenrath beobachtet werden.

 

Dann besuchte mich am 22. September mein Bruder aus Hannover, wo die aus Südosteuropa eingewanderte Wildtaube schon seit mindestens 1950 ansässig ist. Wir kamen ohne besondere Beobachtungsergebnisse von einem Spaziergang zum Alsdorfer Weiher zurück, als mein Bruder kurz vor unserer Wohnung plötzlich auf der Straße stehen blieb: "Was sitzt denn bei eurem Nachbarn auf der Fernsehantenne? Tatsächlich, eine Türkentaube!" In aller Ruhe ließ sie sich betrachten und zeigte alle typischen Artmerkmale, vor allem die schwarzweiße Zeichnung der Schwanzunterseite, wodurch sie von der zahmen, aber in Alsdorf auch gelegentlich freifliegenden Lachtaube zu unterscheiden ist.

 

Stolz eilten wir, als die Türkentaube in Richtung Mariadorf abgeflogen war, ins Haus. Dort war das einstimmige Urteil der Familie: "Das glaubt dir kein Mensch, daß sich die so lange von dir gesuchte Türkentaube ausgerechnet vor deiner Haustür zum ersten Mal blicken läßt!"

 

Na, hoffentlich glauben es einige Leser doch und achten auf weiteres Erscheinen dieser neuen Wildtaube, die sich besonders in den Kronen hoher Bäume und innerhalb der Städte mit Vorliebe auf den Fernsehantennen aufhält.

 

(aus: Gerhard Moll, Das Vogeljahr 1962)

 

 

 

Ein Massenschlafplatz (1961)

von Gerhard Moll

 

Der Dezember 1961 begann mit einem farbenprächtigen Schauspiel, der Fuchsjagd der Reitervereine. Die Jagdsignale hallten weithin durch das Broichbachtal, als der Ritt an der Alsdorfer Ölmühle seinen Anfang nahm. Es war aber nicht das einzige, das an eine wirkliche Jagd erinnerte; denn im Vorhof des Schlosses Ottenfeld erwartete ein leibhaftiger, frischgeschossener Fuchs die Reiter. Auf Tannenzweigen ruhte er, wohl einer der letzten seines Geschlechts in unserem Revier.
Ich radelte noch eine Strecke hinter der Fuchsjagd her und hielt dann dort, wo sich neben der Lindenallee der große Schilfgrund erstreckt. Hier ist in den Wintermonaten seit einigen Jahren ein besonderes Naturschauspiel zu beobachten, das Sammeln und Einfallen von Hunderten von Grauammern (Emberiza calandra).
Auch am Abend dieses ersten Advents blieben die Tiere nicht aus. Kurz vor Einbruch der Dämmerung erschienen ungefähr vierzig Vögel von Spatzengröße und schwangen sich unter leisen Rufen in die hohen Pappeln. Während ich sie durch das Fernglas beobachtete und zu zählen versuchte, brauste ein weiterer Schwarm heran. Von allen Seiten trafen in den nächsten Minuten wie zu einer Verabredung Trupps dieser an sich unscheinbaren Vögel ein.
Als zwei- bis dreihundert Grauammern in den Bäumen saßen, begannen sie plötzlich, steil abwärts ins Schilf hineinzufliegen. Es war, als ließen sie sich einfach fallen. Sekunden später war alles still.
Völlig unklar ist es, woher diese Massen an Kleinvögeln kommen; denn tagsüber findet sich in unserer Feldmark nur selten einmal eine kleine Gruppe dieser Art. Der Schlafplatz im Broichbachtal muss von Vögeln aus einem sehr weiten Umkreis aufgesucht werden, wie es vor Jahren der Fall war, als Tausende von Staren im gleichen Gelände übernachteten.
Allein schon wegen dieses einzigartigen Massenschlafplatzes müsste unbedingt der Schilfgrund erhalten bleiben. Trockenlegungen und Anschüttungen müssen aus diesen und verschiedenen anderen Gründen eine Begrenzung haben.


(aus: GERHARD MOLL, Das Vogeljahr 1961.)

 

 

 

Ferkelquieken im Schilf

Im Gegensatz zu den meisten vergangenen Jahren, in denen der Februar bei weitem der kälteste Monat war, zeichnete sich dieser Monat 1961 durch vorfrühlinghafte Milde aus. Es wurden schon Temperaturen bis zu 20 Grad Wärme gemessen. Infolgedessen begannen viele Standvögel schon früher, als man es sonst gewohnt war, mit ihrem Gesang. Noch in der ersten Februarhälfte ließ sich der Buchfinkenschlag vernehmen, desgleichen das Lied der Singdrossel, des Baumläufers und der Goldammer.

 

Auch der Buntspecht, von dem wahrscheinlich drei Brutpaare im Broichtal ansässig sind, fing sein Trommeln sehr früh an. Wenn er in rasantem Tempo auf einen dürren Ast schlägt und diesen zum Schwingen bringt, so schallt dieses "Trommeln" weit durch das Tal. Wie durch den Gesang bei anderen Vögeln werden durch dieses laute knarrende Geräusch die Paare zusammengeführt und Nebenbuhler vertrieben.

 

Das milde Wetter ließ auch in den Schilfdickichten ein munteres Leben und Treiben erwachen. Allerorten ließen die Teichhühner, die es bei uns wirklich sehr zahlreich gibt, ihre Rufe erschallen, die wie "kürk" oder "kirrik" klingen.

 

An der Stelle, wo einst die im vorigen Jahr abgerissene sogenannte Römermühle stand, war eines Abends ein ganz anderer Laut zu hören. Aus dem Schilf ertönte ein durchdringendes "Ihk, ihk, ihk"! Sollte sich ein Ferkel im Sumpf verlaufen haben? Denn wie ein ängstliches Quieken eines Schweinchens klang es. Aber im Schilf laufen keine Tiere dieser Art herum. Es konnte sich nur um eine Wasserralle (Rallus aquaticus) handeln, eine seltenere Verwandte des Teichhuhns. Der Verdacht fan einige Tage später seine Bestätigung, als ich bei Noppenberg vom Weg aus mit dem Fernglas das Ufer der Baches kontrollierte. Da lief zwischen Teichhühnern und Stockenten wahrhaftig eine Wasserralle umher. Der ziemlich lange Schnabel, die bräunliche Oberseite und die bleigraue Brust waren gut zu erkennen.

 

Das Quieken ließ sich in den nächsten Monaten noch öfters vernehmen. Zu Gesicht bekam ich die scheue Ralle jedoch nur noch einmal, und zwar an einem anderen Teil des Broichtales, nämlich am Schilfrand des Kellersberger Weihers.

 

(aus: GERHARD MOLL, Das Vogeljahr 1961)

 

 

 

Moll-Tagebücher: Wie alles anfing...

Wieder geht ein Jahr zu Ende, und wieder blättere ich in meinem Exkursionstagebuch. Es ist eine dicke Kladde, die alle Aufzeichnungen über die naturkundlichen Beobachtungen enthält, die ich auf Fahrten und Wanderungen im In- und Ausland, vor allem aber im engeren Heimatraum machte. Fotos, Zeichnungen, Kartenausschnitte und Zeitungsnotizen ergänzen das Handschriftliche.

 

Mit besonderer Freude verweile ich bei den Eintragungen des Jahres 1962; es ist doch sozusagen ein "Jubiläumsband", nämlich der 10. Jahrgang meiner Tagebücher.

 

Ich weiß noch sehr genau, wie es anfing. Am ersten Weihnachtstag 1952 stand ich bei der Broicher Mühle. Das Wetter war alles andere als winterlich und weihnachtlich; ziemlich warm war es, und ein leichter Sprühregen ging nieder. Plötzlich tauchte vor mir im fahlen Gras ein Hermelin auf, ein Großes Wiesel im schönsten Winterpelz, schneeweiß mit schwarzer Schwanzspitze. Das Weiß, das eigentlich eine Schutzfarbe sein sollte, wurde ihm hier zum Verräter und ermöglichte mir für mehr als eine Viertelstunde eine ausgezeichnete Beobachtungsmöglichkeit. Ich war so begeistert, daß ich beschloß, dieses Erlebnis zu Hause mit allen Begleitumständen wie Wetterlage, Ort und Zeitangabe usw. schriftlich festzuhalten. Ja, ich war so in Schwung gekommen, daß ich daheim die Notizen gleich in eine umfangreiche Kladde eintrug mit der festen Absicht, in Zukunft die naturkundlichen Ergebnisse jeder Wanderung und jeder Reise niederzuschreiben.

 

So habe ich es nun schon 10 Jahre ununterbrochen gehalten und dabei in mehreren Heften zusammen fast 2.000 Seiten gefüllt. Diese kleine (oft tägliche) Arbeit habe ich nicht bereut. Das Tagebuch zwang mich unterwegs zu immer schärferem Beobachten. Ich wollte mich doch nicht vor dem Buch blamieren und ihm nach einem Spaziergang etwa anvertrauen: "Es war draußen ganz nett, aber etwas Besonderes habe ich nicht gesehen." Da wurde eben unterwegs schon besser als früher aufgepaßt und im stillen bereits manches für die spätere Eintragung vorgesehen. Man glaubt ja gar nicht, was man auf einer noch so kurzen Wanderung alles beobachten kann! Das gilt besonders dann, wenn man erst durch Pflanzen- und Vogelbestimmungsbücher, bzw. entsprechende Fachzeitschriften auf bestimmte Fragestellungen aufmerksam geworden ist.

 

(aus: GERHARD MOLL, Das Vogeljahr 1962)